Langzeitbelichtung – Schottland

Allgemeines

Dieser Beitrag ist eine Kombination aus Reisefotografie und einer Technik des fotografischen Handwerks. Er bezieht sich auf die digitale Fotografie.

Langzeitbelichtung

Bei Langzeitbelichtungen werden Belichtungszeiten von mehreren Sekunden bis hin zu Minuten verwendet. Ein oberes Ende existiert im Grunde nicht – ausser vielleicht systembedingt durch die jeweilige Akkulaufzeit. Warum aber möchten wir Motive überhaupt so lange belichten? Dazu kann es viele Gründe geben. Ein Klassiker ist die Nachtfotografie. Vielleicht sehe ich ein Objekt, das in der blauen Stunde gut zur Geltung kommt oder ich will die aus dem Strassenverkehr stammenden Lichter als Streifen abbilden. Bei solchen lichtschwachen Bedingungen bietet sich eine Langzeitbelichtung an. Auch in der Architekturfotografie bedient man sich diesen Mittels, z.B. um Personen „verschwinden“ zu lassen. Tatsächlich ist es so, dass bei langen Belichtungszeiten Menschen, die durch das Bild gehen, fast gänzlich unsichtbar werden. Ein weiterer Einsatzort stellt die Landschaftsfotografie dar – und zwar beim Glattziehen von Wasseroberflächen oder bei der dynamischen Darstellungen von Wasserfällen. Langzeitbelichtungen sind also beides: eine Notwendigkeit und ein stilistisches Mittel, je nach Situation und Bedarf.

Werkzeuge

Eine passende Belichtung bei langen Zeiten erreicht ihr mit folgenden Einstellungen bzw. Hilfsmitteln:

  • Kleinere Blende (grössere Blendenzahl, z.B. 11, 16, 22): Dies kommt uns sogar gelegen, weil wir trotz Langzeitaufnahme eine gute Tiefenschärfe haben möchten.
  • Weniger Umgebungslicht: Wartet auf die Nacht! Nun gut, das ist natürlich je nach Motiv nicht immer möglich.
  • Graufilter (ND-Filter): In vielen Situationen (bspw. Architekturfotografie am Tag) können wir nicht bis zum Anbruch der Dunkelheit warten. Genau deshalb gibt es die Graufilter, auch Neutraldichtefilter genannt. Sie vermindern das einfallende Licht, je nach Stärke des Filters unterschiedlich.

Graufilter

Neutraldichtefilter gibt es von unzähligen Herstellern in diversen Ausführungen, so z.B. als Schraubfilter oder rechteckige Steckscheiben mit entsprechendem Aufsatz. Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehe. Ein jeder muss für sich entscheiden, welcher Filtertyp der passende ist. Verwirrend sind aber manchmal die Bezeichnungen. Oft steht da etwas von ND8, ND64 oder ND1000. Diese Zahlen beschreiben den Verlängerungsfaktor, d.h. mit dem ND8 kann ich acht mal länger belichten als bei Normalbedingungen, mit dem ND64 64-mal usw. Eine andere, ebenfalls gebräuchliche Angabe sind bspw. die Nummern 0.9, 1.8, 3.0. Sie bilden die Exponentialstellen in einer dekadisch logarithmischen Skala (Dämpfungsskala). Grundsätzlich ergeben diese Ziffern nichts anderes als die oben zu erst genannten: 10^0.9 = 8; 10^1.8 = 64 – und die letzte Berechnung dürfte auch klar sein. Selbstverständlich existieren noch weitere Varianten.

Vorgehen

Wichtiger als die ganzen Filterbezeichnungen ist das Vorgehen, wenn ihr bei regulären Lichtverhältnissen Langzeitaufnahmen machen wollt. Ich habe mir Folgendes angeeignet: Zuerst schiesse ich ein paar Bilder ohne Filter in einem gewöhnlichen Kameramodus. Das kann sogar ein Szenenmodus für Landschaft sein. Ich merke mir dabei die entsprechenden Einstellungen (Blende, Zeit) und schalte dann auf den manuellen Modus um. Dort mache ich weitere Aufnahmen mit den zuvor notierten Werten. Die ISO Zahl halte ich dabei tief (100), die Blendenzahl hoch (>10). Ich justiere die Belichtungszeit bis mir die Bilder gefallen, dann notiere ich wieder alle wichtigen Werte, kontrolliere den Bildausschnitt und die Einstellungen am Objektiv. Wenn die Schärfe meinem Wunsch entspricht, schalte ich den Autofokus aus. Der Grund ist simpel: Oft kann die Kamera unter Verwendung eines ND1000-Filters nicht mehr automatisch scharf stellen, weil sie nichts mehr sieht (mit AF beginnt sie dann wie wild zu suchen). Welchen Filter ihr verwendet, kommt auf die anfangs erhaltenen Werte an. Falls ihr Wasser glatt ziehen möchtet, empfehle ich gleich einen ND1000-Filter zu benutzen. Wollt ihr lieber das Wasser eines Wasserfalls fliessend darstellen, dann würde ich einen ND64-Graufilter verwenden. Den ND8 braucht ihr ehrlich gesagt nur bei Dämmerungslicht. Bei Steck-, wie auch bei Schraubsystemen können zwei oder sogar noch mehr Filter hintereinander benutzt werden. Die Effekte multiplizieren sich dabei. Es ist jedoch Vorsicht geboten, weil diese Vorgehensweise zu Verzeichnungen (Vignettierung) führen kann.

Sobald ihr den Filter am Objektiv angebracht habt, könnt ihr als Richtwert mit der entsprechend verlängerten Belichtungszeit loslegen (z.B. original 1/125s mit ND 8 ergibt 1s). Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden die ersten Ergebnisse die Erwartungen noch nicht erfüllen. Haltet die ISO-Zahl tief, fixiert die Blende und schraubt nur an der Belichtungszeit herum, bis ihr das gewünschte Ergebnis erhaltet. Ach ja, ein kleiner Tipp: Spielt doch mal mit dem Weissabgleich. Nachfolgend ein paar meiner Impressionen:

Das erste Bild wurde mit „regulären“ Einstellungen aufgenommen. Dies machte in diesem flüchtigen Moment, als der Regenbogen noch gut sichtbar war, mehr Sinn.

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Rainbow over Loch Morlich (F/11, 1/125s, ISO 100, 13mm)

Kurze Zeit später zog wie in Schottland üblich die nächste Regenfront heran. Um dabei eine gute Dynamik zu erzielen und diesen mystischen Augenblick einzufangen, befestigte ich den ND1000 Filter an meinem Objektiv, der übrigens bei allen hier gezeigten Aufnahmen zum Einsatz kam.

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Loch Morlich (F/11, 30s, ISO 100, 12mm, Weissabgleich 3150K)

Oft ist es so, dass man das Bild bei Langzeitbelichtungen neu gestalten muss. Ich legte den Fokus auf den abgestorbenen Ast, belichtete mit 30 Sekunden und stellte den Weissabgleich manuell auf Kunstlicht (3150 Kelvin).

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Am Ende der Welt – Butt of Lewis (F/11, 20s, ISO 100, 24mm, WA 3150K)

Bei 20 Sekunden sind die heranrollenden Wellen noch sichtbar. Möchte man bei rauer See die Wogen ganz glätten, müsste eine deutlich längere Belichtungszeit gewählt werden (schätzungsweise 90s und mehr). Dies ist natürlich der Kreativität des Fotografen/der Fotografin überlassen.

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Ardvreck Castle (F/13, 25s, ISO 100, 18mm, WA 4200)

In obigem Foto ist ein weiterer Effekt der Langzeitbelichtung gut zu erkennen, der Wolkenzug.

Beim letzten Bild handelt es sich um Architekturfotografie. Die beiden Kelpies stehen in einem Park in der Nähe von Falkirk.

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Kelpies (F/11, 43s, ISO 100, 37mm)

Tatsächlich habe ich hier von allen in diesem Artikel gezeigten Bilder die längste Belichtungszeit eingestellt – und dies nicht ohne Grund. Die Kelpies werden tagtäglich von vielen Einheimischen und Touristen besucht. Ein Moment ohne „störende“ Menschen gibt es fast nicht. Hier hilft nur die Langzeitbelichtung. Wenn ihr ganz genau hinschaut,  findet ihr noch Besucher, die irgendwo einen Augenblick inne hielten. Die Vorbeigehenden sind verschwunden. Wie gesagt könntet ihr auch minutenlang belichten – mit der entsprechenden Anzahl Filtern und grosser Blendenzahl – bis wirklich keine Personen mehr sichtbar wären.

Ich hoffe, dass ich auch mit der Auswahl und Behandlung dieses Themas euer Interesse und eure Inspiration geweckt habe. Gibt es weitere Themen, die euch brennend interessieren? Teilt es mir mit! Und falls ihr Fragen habt, fragt!

Frohe Festtage wünscht,

Euer Sven

6 Gedanken zu “Langzeitbelichtung – Schottland

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